Zusammenhalt stärken in Zeiten von Krisen und Umbrüchen

Abt. I - ABWL, insbes. Innovations-und Dienstleistungsmanagement

Drittmittelprojekt in Kooperation mit dem BMBF

Innovation und Kompetenzerhalt in regionalen Netzwerken - Umbrüche in der gesamtdeutschen Uhrenindustrie von 1975 bis heute (IuKirN - Uhren)

Gemeinsames interdisziplinäres technikhistorisch-betriebswirtschaftliches Forschungsprojekt des Lehrstuhls für ABWL, insbesondere Innovations- und Dienstleistungsmanagement, Prof. Dr. Wolfgang Burr, und des Lehrstuhls für Wirkungsgeschichte der Technik, Prof. Dr. Reinhold Bauer, der Universität Stuttgart.

Das Projekt wurde gefördert mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

In Ost- wie in Westdeutschland war die Uhrenindustrie nach 1945 eine wichtige Branche: Sie hatte ein hohes gesamtwirtschaftliches Gewicht, war stark exportorientiert und auch innovationsstark. In beiden deutschen Staaten geriet die Uhrenindustrie aber seit Mitte der 1970er Jahre in verschiedenartige Krisen, die z. T. systemspezifische (erste Globalisierungskrise und Nachfragesättigung im Uhrenmarkt in Westdeutschland, Innovationsschwäche der Zentralverwaltungswirtschaft in Ostdeutschland), z. T. systemübergreifende (Entwicklung der Mikroelektronik und Quarztechnologie) Gründe hatten. In der Nachwende-Ära gelang eine partielle Wiederbelebung der ostdeutschen Uhrenindustrie am traditionsreichen Standort Glashütte. Im Westen wurde die z. T. bis heute schwelende Branchenkrise mit unterschiedlichem Erfolg bewältigt: Während viele Unternehmen die Krise ökonomisch nicht überlebten, gelang einzelnen Unternehmen nach einer schwierigen Übergangsphase eine partiell erfolgreiche Anpassung. In der Uhrenbranche kann somit kein simples West-Ost-Narrativ entworfen werden (Westen = Erfolg, Osten = Niedergang).

Das Forschungsvorhaben hatte daher zum Ziel, die Entwicklung der gesamtdeutschen Uhrenindustrie und einzelner Unternehmen von Mitte der 1970er Jahre bis heute vor dem Hintergrund der tiefgreifenden markt-, technologie- und wirtschaftssysteminduzierten Umbrüche und Krisen in einem interdisziplinären Ansatz zu erklären und zu verstehen. Dabei sollte danach gefragt werden, wie die verantwortlichen Akteure in Unternehmen/Betrieben bzw. Branchen in West und Ost Krisen erkennen, interpretieren und ggf. bewältigen bzw. unter welchen Bedingungen dies nicht gelingt.

Die Fragestellungen und Untersuchungsergebnisse des Forschungsprojektes sind in verschiedener Hinsicht aktuell und relevant, insbesondere da es um Innovativität in Krisenzeiten, regionale Deindustrialisierung, Reindustrialisierung und die Zukunft industrieller Produktion in entwickelten Ländern sowie gesellschaftliche Kooperation zur Krisenbewältigung geht. Ziel war dabei, Aussagen über den Erhalt bzw. die Wiederherstellung von Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und Regionen zu generieren. Daraus ergeben sich sowohl die gesellschaftliche wie die hohe wissenschaftliche und wirtschaftliche Relevanz des Vorhabens. Aufbauend auf Quellenanalyse, Zeitzeugen- und Experteninterviews und nicht zuletzt der qualitativen Auswertung einer sehr breiten Literatur konnte die Reflektion zur Strukturkrise auf eine neue methodische Ebene gehoben werden. Die branchenspezifische Partizipation an der Einführung neuer Werkstoffe und der zumindest partiellen Substitution mechanischer durch elektronische Technologie vollzog sich in Ost und West unter zwar sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen, in beiden Staaten konnte die Branche diese Herausforderung zunächst aber meistern. In der DDR führte das zu einer Utilisierung der Branche zu Propagandazwecken. Die durch den Einkauf westlicher Technologie wettbewerbsfähig gemachte Uhrenindustrie der DDR wurde daher häufig in den Medien als Vorzeigebranche dargestellt, wobei die eigene Leistungsfähigkeit betont, die internationale Vernetzung verschwiegen wurde. Uhren aus eigener Produktion dienten als Auszeichnungen und waren so Teil des Kontroll- und Belohnungssystems des autoritären Staates.

Für die Durchführung des Projektes war es wichtig nach den branchenspezifischen Gründen der Krise und deren Verlauf in Ost und West zu fragen, um vor diesem Hintergrund erfolgreiche Krisenlösungsstrategien zu erkennen. Für das Scheitern der Mehrheit der Unternehmen waren im Westen unter anderem eine verzögerte Krisenreaktion verantwortlich, da die Eigenwahrnehmung als wissenschaftlich und technisch fortschrittlich eine rechtzeitige oder abgestimmte Reaktion der relevanten Akteure in Wirtschaft und Politik unmöglich machte. Es wäre aber nicht hinreichend sich mit dieser monokausalen Erklärung zufriedenzugeben, da ein komplexes Zusammenspiel von Faktoren die Entwicklung in den 1970er und 1980er Jahren geprägt hat. Die wichtigsten Aspekte waren in diesem Zusammenhang, dass die Markenkommunikation jenseits der Rationalitätsfiktion der Konsumentinnen und Konsumenten konzipiert war und gleichzeitig durch die Globalisierung der Wertschöpfungsketten etablierte Produktionsregimes obsolet wurden. Das etablierte Narrativ von einer aggressiven asiatischen Konkurrenz erfuhr in diesem Zusammenhang auch eine Neubewertung, zumal nachgewiesen werden konnte, dass die relevanten Akteursgruppen in Westdeutschland sich aktiv am Wissens- und Technologietransfer beteiligten und davon auch profitierten. So war es eine übliche Praxis zunächst Komponenten und später ganze Uhren in Hong-Kong und später in China fertigen zu lassen und unter den etablierten Markennamen, die unter den Konsumentinnen und Konsumenten mit deutschen Herstellern assoziiert wurden, weltweit zu vertreiben.

Die Marginalisierung und Umstrukturierung der Branche vollzogen sich in den lokalen industriellen Clustern auf dem Gebiet der Bundesrepublik und dem der ehemaligen DDR nachhaltig unterschiedlich. So zog sich der Prozess im Westen über mehrere Jahrzehnte hin während im Osten der Wandel nach der Wende abrupt über die Menschen hereinbrach. Die Erinnerung an diesen Niedergang manifestierte sich in den jeweiligen lokalen Memorialkulturen und prägt die Mentalität bis in die Gegenwart. Nach dem strukturellen Wandel ist die Uhrenindustrie keineswegs aus Deutschland verschwunden, ihre Struktur und ihr Produktionsparadigma haben sich aber massiv verändert und sie kann den Markt für massenhaft industriell gefertigte Konsumgüter nicht mehr bedienen. Das Zusammenspiel internationaler Financiers, einer lokalen Tradition und Expertise und einer veränderten Markenkommunikationen – in der dem History-Marketing eine zentrale Rolle zufällt – können hier als erfolgreiche Krisenreaktionsstrategien benannt werden.

Ergebnisse aus dem Projekt sind u.a. in den beiden folgenden Publikationen dargestellt:

  1. Schuetz, T. & Stolz, K. (Hrsg.). (2022). Alles hat seine Zeit. Impressionen zum Strukturwandel in der deutschen Uhrenindustrie (1. Auflage). Bielefeld: wbv Media.
  2. Schuetz, T. (2022). Tempus fugit. Technikgeschichte der Uhrenindustrie im deutsch-deutschen Vergleich (Beiträge zur Kulturwissenschaft, 1. Auflage). Bielefeld: wbv Media.
  3. Schittenhelm, R., Schuetz, T, & Stolz, K. (Hrsg). (2021) Aus der Zeit gefallen? Produktion und Konsumption von Uhren und anderen Konsumgütern in Ost und West“ Kultur und Technik Band 38, Berlin.

Weitere Publikationen finden Sie unter folgendem Link sowie eine Auflistung von Vortägen unter folgendem Link.

Projektlaufzeit: vom 01.12.2017 bis 30.11.2020

Kontakt

Dieses Bild zeigt Wolfgang Burr

Wolfgang Burr

Prof. Dr.

Lehrstuhlinhaber (insb. Innovations-und Dienstleistungsmanagement)

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